Die Abwesenheit der Frau in der Fotografie

Dutzende von Frauenbildern werden im Rahmen der Panorama-Projektion Hommage 2021 vom 6. bis 13. August 2021 über die Fassaden des Bundeshauses, der National- und der Kantonalbank laufen. Die Geschichte der Schweizerinnen in Fotografien zu erzählen, ist kein leichtes Unterfangen. Die Suche nach Fotos aus dem 18. bis 20. Jahrhundert war aufwändig. Anders als heute war die Fotografie früher kostspielig und nicht alles und jede/r wurde dokumentiert. Fotografiert wurde nur Herausragendes und Ausserordentliches – und Frauen waren da nicht mitgemeint.

Bildnisse von arbeitenden Frauen, von ihren politischen Tätigkeiten oder ihrer gesellschaftlichen und politischen Entwicklung mussten in vielen Archiven und Bildagenturen zeitaufwändig und nicht immer erfolgreich gesucht und zusammenkomponiert werden. Für die Panorama-Projektion wurden rund 250 Bilder benötigt. Gesucht wurde ein Vielfaches davon, denn viele Bilddokumente mussten weggelegt werden, weil sie sich rechtlich, technisch oder künstlerisch nicht einpassen liessen.

Der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Bildwelten zeigte sich am drastischsten in den Porträts

Viele Frauen konnten wir bereits in der Porträt-Ausstellung in der Berner Altstadt zeigen. Doch auch auf den leuchtenden, singenden und tanzenden Lichtfassaden am Bundesplatz sollten mehr als die bekannten verdienstvollen Frauen persönlich zu entdecken sein. Zum Beispiel eine «Sekretärin» aus dem Berner Jura, die 1896 in einer grossen Enquête feststellte, dass eine Schweiz ohne die sozialen Leistungen der Frauen nicht überleben könnte: Julie Ryff-Kromer (1831-1908). Zum Beispiel eine Sozialistin, gefärbt mit dem im Jura so populären anarchistischen Touch, die sich innerhalb und mit den Evangelischen Frauen Schweiz für eine gerechtere Welt einsetzte: Jeanne-Marie Perrenoud-Bindit (1914-2013). Um ein Foto der Julie Ryff zu finden, brauchte es zwanzig Jahre. Erst musste zeitlich ungemein aufwendig in die Burgerbücher ihrer Heimatgemeinde vorgedrungen, dann mussten Nachfahr*innen der in alle Welt zerstreuten dreizehnfachen Mutter gefunden werden, die – welcher Erfolg! – ein paar Fotos besassen. Um einen Schnappschuss von Jeanne-Marie Perrenoud zu ergattern, war tagelang in Altersheimen herumzutelefonieren, weil gesagt wurde, eine vorhandene, ziemlich unscharfe Momentaufnahme sei von einer Angestellten eines Pflegezentrums geknipst worden. Auch das eher zufällig entstandene Amateurbild konnte glücklicherweise dingfest gemacht und von kundigen Grafikerinnen herzeigbar aufbereitet werden. Nur für eine Frau aus dem 18. Jahrhundert, die in der Porträtausstellung der Berner Altstadt zu finden ist, konnte partout kein Bildnis gefunden werden. Veronika Gut (1757-1829) ist mit einem Schriftstück charakterisiert. Und die eine oder andere Frau fehlt so unbemerkt in der Projektion.

Dass es ganz allgemein schwieriger ist, Fotos von Frauen zu finden als von Männern, ist einleuchtend. Abgesehen fürs Hochzeitsfoto wurden sie früher selten konterfeit. Alltägliche Szenen und Frauenarbeiten galten als zu unbedeutend, um von Fotografen bemerkt zu werden. Grosse Aufgaben in Wirtschaft und Armee, in Politik und «systemrelevanten» Verbänden wie etwa in Turn- und Schützenvereinen waren Frauen lange verboten und die kleinen, alltäglichen und langweiligen Nichtigkeiten, mit denen sie sich beschäftigen sollten, nicht würdig, für die Ewigkeit festgehalten zu werden. Männer hingegen sind als Schattenriss in frühesten Studentenverbindungen zu sehen, als stolze Offiziere abgelichtet, als Patron, Unternehmer, «Verbandsmuni» oder Chief Executive Officer CEO wuchtig ins Bild gesetzt.

Ohne Familie keine Dokumentation

Besonders schwierig ist es, Bilder unverheirateter oder kinderloser Frauen aus älteren Zeiten zu finden. Wenn nicht die Familie ein Andenken aufbewahrte, machte sich selten jemand die Mühe, so «Unbedeutendes» auch nur zu beachten. Für die Geschichte der Schweizerinnen ist dies fatal, denn nicht zuletzt ledige oder kinderlose Frauen hatten früher die nötige Zeit, sich frauenpolitisch zu engagieren. Zweifach schwierig ist es, individualisierte Fotos von Fabrikarbeiterinnen oder Mägden aufzutreiben – sie schätzten sich selbst nicht für wichtig genug, sie hatten zudem kein Geld, einen Fotoapparat zu kaufen oder zum Fotografen zu gehen.

Farbfotos aus Illustrierten und Magazinen der wilden, revolutionär-bewegten 1960er und 1970er Jahren aufzutreiben, schien verlockend leicht. Weit gefehlt. Noch wurde berufsmässig schwarz-weiss gefilmt. Der Fachmann erklärt: Die Farbfilme hatten eine niedrige Empfindlichkeit, waren also weniger einsetzbar bei schwachem Licht und schnellen Bewegungen und damit auch ungeeignet für die Erfordernisse der Aktualität.

Wenn vom 6. bis 13. August 2021, jeweils um 21.15 Uhr, viele prächtige Fotos über die Fassaden des Bundeshauses, der National- und der Kantonalbank laufen werden, wird der Aufwand vergessen sein. Dann freuen wir uns über die sensationellen Funde! FR

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Montage: Patrischa Freuler, Bilder: Archivio Donetta, AARDT, Archivio Donetta, Keystone.