Geschichte der Schweizerinnen

Die Frauen hierzulande verdanken ihre politischen Rechte nicht den Erschütterungen nach Kriegen, nicht staatlichen Wirrnissen oder politischen Zusammenbrüchen (wie etwa in Finnland, Deutschland, Österreich usw.). Sie wurden ihnen nicht von einigen wenigen Politikern oder Richtern geschenkt. Nein! Die politischen Rechte mussten in vielen Kraftakten und Gedankenarbeiten einer Mehrheit aller Schweizer Männer und Stände abgerungen werden.

Das dauerte.

Die Frauen hierzulande verdanken ihre politischen Rechte nicht den Erschütterungen nach Kriegen, nicht staatlichen Wirrnissen oder politischen Zusammenbrüchen (wie etwa in Finnland, Deutschland, Öster...
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Hommage 2021, Bittschriften Ruederswil

Diese Bittstellerinnen aus Rüderswil fragten schon 1847, «ob die Weibspersonen auch Menschen seien». Staatsarchiv des Kantons Bern BB IX 516

Bittschriften

Die Schweizerinnen haben in über hundert Jahren diverse Taktiken eingesetzt, bevor sie jene fanden, die 1971 endlich zum Erfolg führte. Hier wird aus der Perspektive der Frauen ein Überblick über die verschiedenen Etappen bis zum schweizerischen Frauenstimm- und Wahlrecht gezeigt. Mehr zum Umfeld und zu den individuellen Leistungen zeigt die Ausstellung der 50 Porträts aus allen Landesteilen.

Im 19. Jahrhundert suchten engagierte Frauen zunächst mit Bittschriften konkrete Erleichterungen im Alltag zu erwirken oder von männlicher Bevormundung befreit zu werden.

Reihen schliessen

Erfolglos und teilweise höhnisch belächelt, begriffen die Schweizerfrauen rasch, dass nachhaltig verbesserte Zustände nur mit frauenfreundlicheren Gesetzen erreicht werden konnten. Sie griffen deshalb mit Eingaben an Politiker, mit Zeitungsartikeln und Reden von aussen in die Gesetzgebung ein, etwa für das Zivilgesetzbuch - so gut es für politisch Ausgegrenzte eben ging. Schon nach 1900 war einigen klar, dass Frauen Gesetze nur dann wirklich mitgestalten könnten, wenn sie das politische Stimm- und Wahlrecht hätten. Auch erkannten die Frauen schon damals, dass man dazu die Reihen schliessen und schweizweit in Dachverbänden agieren musste.

Hommage 2021, 1900 Alliance BSF A Go F WEB

Die Frauen schlossen sich um 1900 zusammen, wie hier über die Parteien- und Sprachgrenzen hinweg zum Bund Schweizerischer Frauenvereine BSF. Musée de l`Elysée Lausanne (Kopie; Originalfoto nicht eruierbar)

Lokale Komitees

Lokale Komitees wurden gegründet. Das bedeutsamste neben dem Comité des femmes de Genève war das Frauen-Comité Bern, das sich mit Helene von Mülinen, Helene von Sinner, Carola von Wattenwyl-von Stentzsch und Emma von Steiger-Jeandrevain vor allem auf Bernburgerinnen stützte. Zu ihren wichtigsten Zielen gehörten die Verbesserung der Bildung für Mädchen und Frauen, der Schutz der Mütter und Kinder, das Recht auf eigenes Geld sowie die Beseitigung von Hürden und Ausschlüssen bei der Berufsausübung.

Mulinen von Helene A Go F 7076

Helene von Mülinen. Gosteli-Stiftung AGoF Fotosammlung Nr. 7076

Soz Arch Arbeiterinnen Sozarch F Fb 0006 005

Auch die Arbeiterinnen schlossen sich schweizweit vor 1900 zusammen. Der schweizerische Arbeiterinnenverband forderte als erste Organisation konzis das Frauenstimm- und Wahlrecht. Sozialarchiv F Fb-0006-005

Zu allen Zeiten gab es auch einige wenige Männer, die sich für weibliche Rechte einsetzten. Es waren Schweizer, die aus ideellen oder religiösen Gründen Gerechtigkeit verlangten, oder wagemutige Politiker, die in verschiedensten Räten unpopuläre Vorstösse zugunsten weiblicher Anliegen lancierten – ohne Rücksicht auf eigenen Mandatsverlust.

Nationale Frauenspende
Soldatenstuben

In Krisen- und Kriegszeiten stellten sich die Frauen allerdings unverbrüchlich in den Dienst des darbenden oder bedrohten Vaterlandes. Im 1. Weltkrieg sammelten sie in der nationalen Frauenspende von 1915 mehr als eine Million Franken, bauten für die Soldaten längs der Grenze Hunderte von Soldatenstuben auf und unterstützten notleidende Familien zuhause.

1915 Nationale Frauenspende sollte gelb sein im Hintergrund WEB

1. Weltkrieg: Nationaler Spendenaufruf der Frauen von 1915 zugunsten der Soldatenfamilien. Privatarchiv Franziska Rogger

1918 Soldatenstube A Go F WEB

1. Weltkrieg: Dutzende von «Soldatenmüttern» boten den Aktivdienstlern an den Schweizergrenzen ein Refugium, hier in Tavannes. Gosteli-Stiftung AGoF Fotosammlung Nr. 180 : 546 : 81-53

Petitionen und Initiativen

Über Jahrzehnte hinweg liefen sich die organisierten Schweizerinnen immer und immer wieder die Füsse wund, um Unterschriften unter Petitionen und Initiativen für ein nationales, ein kantonales, ein lokales oder ein partielles Frauenstimm- und Wahlrecht zu sammeln. Das brachte ihnen zwar die erfolgreichste, Unterschriften stärkste Petition der damaligen Zeit ein, aber noch lange kein Stimm- und Wahlrecht.

1929 Petition Schweiz A Go F WEB

In der «grössten Petition aller Zeiten» wurden am 6. Juni 1929 mit 247 506 Unterschriften aus allen Landesteilen politische Frauenrechte eingefordert. Foto O. Rohr, Gosteli-Stiftung AGoF Fotosammlung n.k. Stimmrechtspetition 1929

1932 Socialist WEB

Schweizerinnen arbeiteten und demonstrierten während Jahrzehnten für ihr Stimm- und -Wahlrecht. Hier eine Aktion der sozialistischen Frauengruppe Zürich 2 vor dem Wahllokal in Wollishofen, 1932. Postkarte, Gretlers Panoptikum, Sozialarchiv Zürich F Ka-0001-015

Pflegerinnenschule
Foyer du travail féminin
SAFFA

Also suchten die Schweizerinnen zu beweisen, dass sie auf jedem Gebiet mit den Männern mithalten konnten, nicht nur beim Steuern zahlen. Soziale und pflegende Dienste, heute Aufgaben des Staates, schulterten allein die Frauen verschiedenster Gruppierungen, zumeist um Gottes Lohn. Schon um 1900 hatten einige Frauen in Zürich eigenständig eine Pflegerinnenschule und ein Spital aufgebaut, andere eröffneten alkoholfreie Restaurants. Sie gründeten Berufsschulen, Frauenlokale oder ein Foyer du travail féminin. 1928 zeigten die Schweizerinnen an der SAFFA (Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit), wozu sie inhaltlich, organisatorisch und technisch fähig waren.

All diese Vorausleistungen führten jedoch nicht zum Umdenken der Schweizer Männer, weshalb die Frauen 1928 die berühmte Schnecke durch Bern zogen, um auf die quälende Langsamkeit der männlichen Politik hinzuweisen.

1900 Pflegerinnenschule A Go F WEB

Von Frauen für Frauen lanciert und organisiert: Pflegerinnenschule und Frauenspital des Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenvereins in Zürich. Gosteli-Stiftung AGoF Fotosammlung Nr. 110 : 26 : E

1906 Foyer du travail feminin manger 11 5 1906 B Kopie WEB

Von Frauen für Frauen eingerichtet: Versammlungs- und Essräume, Bibliotheken, Vermittlungsdienste. Hier das Foyer du travail féminin in Genf. Postkarte Privatarchiv Franziska Rogger

1928 SAFFA A Go F WEB

Von Frauen für Frauen (und für Männer) grossartig und äusserst erfolgreich zur Schau gestellt: die SAFFA 1928 in Bern. Foto O. Rohr, Gosteli-Stiftung AGoF Fotosammlung Nr. A/22

1933

Schweizerfrauen warnten 1933 frühzeitig vor dem Nationalsozialismus und machten auf die diktatorischen Gefahren aufmerksam. «Die Stummen reden», wunderten sich die Männer nach öffentlichen Veranstaltungen in Basel, Bern, Lausanne, Zürich. Sie waren es nicht gewohnt, dass sich Frauen politisch äusserten und dies auch noch öffentlich.

1933 Protokoll vertraulich A Go F WEB

Erst vertraulich, dann öffentlich: Warnung der Schweizer Frauen vor Hitlers Ziel im Sommer 1933: «Wir sind in Gefahr». Privatarchiv Marthe Gosteli

2. Weltkrieg

Im 2. Weltkrieg setzten sich die Schweizerinnen im Landdienst, in der FHD, an der Heimatfront und in der Flüchtlingshilfe ein und übernahmen zuhause, im öffentlichen Dienst und in den Betrieben die Arbeiten der Männer, die zum Aktivdienst eingerückt waren.

1941 FHD A Go F WEB

2. Weltkrieg: Ende 1941 standen 23 000 Frauen im freiwilligen Hilfsdienst FHD und entlasteten die Armee. Privatarchiv Marthe Gosteli

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2. Weltkrieg: Frauen im Verpflegungsdienst der Armee. Privatarchiv Elisabeth Schmid-Frey

Als der Krieg zu Ende war und die Schweizer Soldaten von der Grenze zurückkamen, wollten sie in ihre alten Stellungen zurück. Die Frauen hatten die eingenommenen Posten klaglos zu räumen, ohne dass sie, wie erhofft, für getätigte Dienste mit dem Frauenstimm- und Wahlrecht belohnt wurden. Die Enttäuschung war gross.

Zivildienst

Nachdem also alle Anstrengungen und Vorausleistungen nichts gefruchtet hatten, sah die ad hoc zusammengestellte Arbeitsgemeinschaft der grossen Frauenverbände ein, dass sie zu anderen Mitteln greifen musste, wollten die Schweizerfrauen zu ihren politischen Rechten kommen. Ende der 1950er Jahre bot sich die Gelegenheit dazu. Unter dem Eindruck der Ungarnkrise sollten die Frauen obligatorisch zum Zivilschutz verpflichtet werden. Nun setzten sich die politisch bewussten Schweizerinnen energisch zur Wehr: kein obligatorischer Zivildienst ohne Frauenrechte.

1956 Bundesblatt 1956 Kopie WEB

Erfolgloser Versuch des Männerstaates, die Frauen ohne Stimm- und Wahlrecht obligatorisch in den Zivilschutz einzubinden. Botschaft im «Bundesblatt», 24.5.1956

2. SAFFA

Mit ihrer Weigerung erstritten die organisierten Frauen für 1959 immerhin eine nationale Abstimmung. Im Vorfeld waren erfolgreich Konsultativabstimmungen unter den Frauen organisiert und 1958 eine 2. SAFFA gefeiert worden. Diese Ausstellung unternahm alles, um die männlichen Stimmbürger bei Laune zu halten, die im folgenden Jahr ein Ja in die Urne legen sollten.

1958 Maennerparadies A Go F Kopie WEB

Ein Männerparadies an der SAFFA 1958 sollte die Schweizer Stimmbürger für den Abstimmungskampf in gnädige Stimmung bringen. Gosteli-Stiftung AGoF Fotosammlung Nr. A/240

1958 Putzfrau A Go F Kopie WEB

SAFFA 1958: Es gab (und gibt) linke und rechte Frauen und Frauen oben und unten. Foto Annemarie Hubacher-Constam. Saffa 58, 2. Ausstellung : Die Schweizerfrau, ihr Leben, ihre Arbeit, Zürich 1958.

Erfolge in Waadt, Neuenburg und Genf

Die Abstimmung von 1959 aber scheiterte am Volks- und Ständemehr. Allerdings: die Frauen hatten ihre nationale Taktik gefunden. Und immerhin gab es kantonale Erfolge in Waadt, Neuenburg und Genf zu feiern.

1959 Welsche A Go F WEB

In der französischsprachigen Schweiz konnten die Frauen 1959 feiern, ihre Kantone sagten ja zum Frauenstimm- und Wahlrecht. Schweizerisches Nationalmuseum, Actualité Suisse Lausanne (ASL), erschienen in Radio Je Vois Tout, 5.2.1959

Kommunale Erfolge

Nach der Niederlage in der nationalen Abstimmung 1959 versuchten organisierte Schweizerinnen vermehrt, in ihren Kantonen und Gemeinden Erfolge zu erzielen. Die beiden Kantone Basel-Land und Basel-Stadt schafften eine Zustimmung der Männer an der Urne 1966 und 1968, der Kanton Tessin 1969.

Soz Arch Graubuenden Sozarch F Pb 0001 022

Die Frauenzentrale Graubünden warb im April 1968 mit einem Plakat erfolgreich für die Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts in der Stadt Chur. Sozialarchiv Zürich F Pb-0001-022

Soz Arch Appenzell Sozarch F 5018 Za 028

Besonders schwer taten sich die beiden Kantone Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden, da hier Landsgemeinde und Frauenstimmrecht eng verknüpft waren. Sozialarchiv Zürich F 5018-Za-028

RO 10569 10 votazione

Das Tessin akzeptierte das kantonale Frauenstimm- und Wahlrecht 1969. Historisches Archiv der Stadt Lugano, Bestand V. Vicari, R.10569/10, Abstimmung, Mai 1970

Menschenrechtskonvention

Auf nationaler Ebene ging es erst Ende der 1960er-Jahre vorwärts. Bundesrat und Parlament wünschten die europäische Menschenrechtskonvention zu unterzeichnen, da sie sich nicht unter die Menschen verachtenden Despoten-Regimes eingereiht sehen wollten. Dieser Konventionsvertrag verlangte aber für Frauen und Männer gleiche nationale Rechte. Ob die Rechte relevant oder unbedeutend waren, stand nicht zur Diskussion. Die Schweiz hatte nicht gleiche Rechte, deshalb wollten das Parlament und der Bundesrat die Konvention unterzeichnen, aber mit dem Vorbehalt, dass die Frauen nicht mitgemeint seien.

1969 Menschenrechtskonvention A Go F WEB

Wieder wurde gefragt: «Sind Frauen auch Menschen?», als der Männerstaat die Menschenrechtskonvention ohne Frauenrechte unterzeichnen wollte. Gosteli-Stiftung AGoF Fotosammlung

Dieses Mal wehrten sich Schweizerinnen von links bis rechts, von den SP- bis zu den SVP-Sympathisantinnen (damals noch BGB) gegen das Ansinnen. Das veranlasste Bundesrat und Bundesversammlung nach eingehenden Verhandlungen mit den Frauenverbänden ein zweites Mal, rechtzeitig eine nationale Abstimmungsvorlage vorzulegen und zwar auf den 7. Februar 1971.

Delegierte
Demonstrantinnen

Engagierte Frauen organisierten den Abstimmungskampf und mobilisierten. Am 1. März 1969 vormittags forderten 600 Delegierte, die eine halbe Million Frauen vertraten, im Berner Kursaal: «Keine Menschenrechtskonvention ohne Frauenrechte». Dasselbe forderten nachmittags rund 5000 Demonstrantinnen auf dem Bundesplatz.

1969 Kursaal Zeitungsausschnitt 3 Kopie WEB mtl

1. März 1969: 600 Frauendelegierte, die eine halbe Million Schweizerinnen repräsentierten, forderten im Kursaal Bern das Frauenstimm- und Wahlrecht. Bilder davon sind in den Medien kaum zu finden. Feuille d`Avis de Lausanne 3.3.1969

1969 Marsch auf Bern Kopie 2 WEB

1. März 1969: Rund 5000 Frauen forderten auf dem Bundesplatz das Frauenstimm- und Wahlrecht. Foto Hans Schlegel, Staatsarchiv des Kantons Bern, FN Schlegel, Negative 1969, «Marsch auf Bern»

7. Februar 1971

Am Stimmrechtstag vom 7. Februar 1971 hatten erst 8 der 22 Stände ihre kantonalen Frauenrechte unter Dach und Fach, sodass der Ausgang der Abstimmung unsicher war. Selbst konservative Politiker meinten allerdings, es sei nun Zeit, mit dem «Gschtürm» aufzuhören und Ja zu sagen.

1971 Nebelspalter 3 2 1971 WEB

Helvetia musste sehr alt werden, bis sie das Frauenstimm- und Wahlrecht bekam. Karikatur von Jüsp - Jürg Spahr, (Ausschnitt), Nebelspalter 3.2.1971, SNL Rf 3596/1888-1918

Helvetia musste sehr alt werden, doch 1971 bekamen die Frauen ihr Ja an der Urne. Kein mitleidig geschenktes Ja, sondern ein dornenvoll selbst erarbeitetes Ja. Gleichzeitigt erhielten die Schweizerinnen nicht nur eine eigenständige, auf sich selbst aufbauende Geschichte, sondern endlich auch eine erfolgreiche.

All den Frauen (und Männern), die sich 100 Jahre lang um das Frauenstimm- und Wahlrecht in der Schweiz bemüht haben, gebührt eine Huldigung: die Hommage 2021.

Literatur:
Rogger Franziska, Gebt den Schweizerinnen ihre Geschichte, Zürich 2015
Rogger Franziska, Wir werden auf das Stimmrecht hinarbeiten, NZZ 2021