Geschichte der Schweizerinnen
Die Frauen hierzulande verdanken ihre politischen Rechte nicht den Erschütterungen nach Kriegen, nicht staatlichen Wirrnissen oder politischen Zusammenbrüchen (wie etwa in Finnland, Deutschland, Österreich usw.). Sie wurden ihnen nicht von einigen wenigen Politikern oder Richtern geschenkt. Nein! Die politischen Rechte mussten in vielen Kraftakten und Gedankenarbeiten einer Mehrheit aller Schweizer Männer und Stände abgerungen werden.
Das dauerte.
Die Schweizerinnen haben in über hundert Jahren diverse Taktiken eingesetzt, bevor sie jene fanden, die 1971 endlich zum Erfolg führte. Hier wird aus der Perspektive der Frauen ein Überblick über die verschiedenen Etappen bis zum schweizerischen Frauenstimm- und Wahlrecht gezeigt. Mehr zum Umfeld und zu den individuellen Leistungen zeigt die Ausstellung der 50 Porträts aus allen Landesteilen.
Im 19. Jahrhundert suchten engagierte Frauen zunächst mit Bittschriften konkrete Erleichterungen im Alltag zu erwirken oder von männlicher Bevormundung befreit zu werden.
Erfolglos und teilweise höhnisch belächelt, begriffen die Schweizerfrauen rasch, dass nachhaltig verbesserte Zustände nur mit frauenfreundlicheren Gesetzen erreicht werden konnten. Sie griffen deshalb mit Eingaben an Politiker, mit Zeitungsartikeln und Reden von aussen in die Gesetzgebung ein, etwa für das Zivilgesetzbuch - so gut es für politisch Ausgegrenzte eben ging. Schon nach 1900 war einigen klar, dass Frauen Gesetze nur dann wirklich mitgestalten könnten, wenn sie das politische Stimm- und Wahlrecht hätten. Auch erkannten die Frauen schon damals, dass man dazu die Reihen schliessen und schweizweit in Dachverbänden agieren musste.
Lokale Komitees wurden gegründet. Das bedeutsamste neben dem Comité des femmes de Genève war das Frauen-Comité Bern, das sich mit Helene von Mülinen, Helene von Sinner, Carola von Wattenwyl-von Stentzsch und Emma von Steiger-Jeandrevain vor allem auf Bernburgerinnen stützte. Zu ihren wichtigsten Zielen gehörten die Verbesserung der Bildung für Mädchen und Frauen, der Schutz der Mütter und Kinder, das Recht auf eigenes Geld sowie die Beseitigung von Hürden und Ausschlüssen bei der Berufsausübung.
Zu allen Zeiten gab es auch einige wenige Männer, die sich für weibliche Rechte einsetzten. Es waren Schweizer, die aus ideellen oder religiösen Gründen Gerechtigkeit verlangten, oder wagemutige Politiker, die in verschiedensten Räten unpopuläre Vorstösse zugunsten weiblicher Anliegen lancierten – ohne Rücksicht auf eigenen Mandatsverlust.
Soldatenstuben
In Krisen- und Kriegszeiten stellten sich die Frauen allerdings unverbrüchlich in den Dienst des darbenden oder bedrohten Vaterlandes. Im 1. Weltkrieg sammelten sie in der nationalen Frauenspende von 1915 mehr als eine Million Franken, bauten für die Soldaten längs der Grenze Hunderte von Soldatenstuben auf und unterstützten notleidende Familien zuhause.
Über Jahrzehnte hinweg liefen sich die organisierten Schweizerinnen immer und immer wieder die Füsse wund, um Unterschriften unter Petitionen und Initiativen für ein nationales, ein kantonales, ein lokales oder ein partielles Frauenstimm- und Wahlrecht zu sammeln. Das brachte ihnen zwar die erfolgreichste, Unterschriften stärkste Petition der damaligen Zeit ein, aber noch lange kein Stimm- und Wahlrecht.
Foyer du travail féminin
SAFFA
Also suchten die Schweizerinnen zu beweisen, dass sie auf jedem Gebiet mit den Männern mithalten konnten, nicht nur beim Steuern zahlen. Soziale und pflegende Dienste, heute Aufgaben des Staates, schulterten allein die Frauen verschiedenster Gruppierungen, zumeist um Gottes Lohn. Schon um 1900 hatten einige Frauen in Zürich eigenständig eine Pflegerinnenschule und ein Spital aufgebaut, andere eröffneten alkoholfreie Restaurants. Sie gründeten Berufsschulen, Frauenlokale oder ein Foyer du travail féminin. 1928 zeigten die Schweizerinnen an der SAFFA (Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit), wozu sie inhaltlich, organisatorisch und technisch fähig waren.
All diese Vorausleistungen führten jedoch nicht zum Umdenken der Schweizer Männer, weshalb die Frauen 1928 die berühmte Schnecke durch Bern zogen, um auf die quälende Langsamkeit der männlichen Politik hinzuweisen.
Schweizerfrauen warnten 1933 frühzeitig vor dem Nationalsozialismus und machten auf die diktatorischen Gefahren aufmerksam. «Die Stummen reden», wunderten sich die Männer nach öffentlichen Veranstaltungen in Basel, Bern, Lausanne, Zürich. Sie waren es nicht gewohnt, dass sich Frauen politisch äusserten und dies auch noch öffentlich.
Im 2. Weltkrieg setzten sich die Schweizerinnen im Landdienst, in der FHD, an der Heimatfront und in der Flüchtlingshilfe ein und übernahmen zuhause, im öffentlichen Dienst und in den Betrieben die Arbeiten der Männer, die zum Aktivdienst eingerückt waren.
Als der Krieg zu Ende war und die Schweizer Soldaten von der Grenze zurückkamen, wollten sie in ihre alten Stellungen zurück. Die Frauen hatten die eingenommenen Posten klaglos zu räumen, ohne dass sie, wie erhofft, für getätigte Dienste mit dem Frauenstimm- und Wahlrecht belohnt wurden. Die Enttäuschung war gross.
Nachdem also alle Anstrengungen und Vorausleistungen nichts gefruchtet hatten, sah die ad hoc zusammengestellte Arbeitsgemeinschaft der grossen Frauenverbände ein, dass sie zu anderen Mitteln greifen musste, wollten die Schweizerfrauen zu ihren politischen Rechten kommen. Ende der 1950er Jahre bot sich die Gelegenheit dazu. Unter dem Eindruck der Ungarnkrise sollten die Frauen obligatorisch zum Zivilschutz verpflichtet werden. Nun setzten sich die politisch bewussten Schweizerinnen energisch zur Wehr: kein obligatorischer Zivildienst ohne Frauenrechte.
Mit ihrer Weigerung erstritten die organisierten Frauen für 1959 immerhin eine nationale Abstimmung. Im Vorfeld waren erfolgreich Konsultativabstimmungen unter den Frauen organisiert und 1958 eine 2. SAFFA gefeiert worden. Diese Ausstellung unternahm alles, um die männlichen Stimmbürger bei Laune zu halten, die im folgenden Jahr ein Ja in die Urne legen sollten.
Die Abstimmung von 1959 aber scheiterte am Volks- und Ständemehr. Allerdings: die Frauen hatten ihre nationale Taktik gefunden. Und immerhin gab es kantonale Erfolge in Waadt, Neuenburg und Genf zu feiern.
Nach der Niederlage in der nationalen Abstimmung 1959 versuchten organisierte Schweizerinnen vermehrt, in ihren Kantonen und Gemeinden Erfolge zu erzielen. Die beiden Kantone Basel-Land und Basel-Stadt schafften eine Zustimmung der Männer an der Urne 1966 und 1968, der Kanton Tessin 1969.
Auf nationaler Ebene ging es erst Ende der 1960er-Jahre vorwärts. Bundesrat und Parlament wünschten die europäische Menschenrechtskonvention zu unterzeichnen, da sie sich nicht unter die Menschen verachtenden Despoten-Regimes eingereiht sehen wollten. Dieser Konventionsvertrag verlangte aber für Frauen und Männer gleiche nationale Rechte. Ob die Rechte relevant oder unbedeutend waren, stand nicht zur Diskussion. Die Schweiz hatte nicht gleiche Rechte, deshalb wollten das Parlament und der Bundesrat die Konvention unterzeichnen, aber mit dem Vorbehalt, dass die Frauen nicht mitgemeint seien.
Dieses Mal wehrten sich Schweizerinnen von links bis rechts, von den SP- bis zu den SVP-Sympathisantinnen (damals noch BGB) gegen das Ansinnen. Das veranlasste Bundesrat und Bundesversammlung nach eingehenden Verhandlungen mit den Frauenverbänden ein zweites Mal, rechtzeitig eine nationale Abstimmungsvorlage vorzulegen und zwar auf den 7. Februar 1971.
Demonstrantinnen
Engagierte Frauen organisierten den Abstimmungskampf und mobilisierten. Am 1. März 1969 vormittags forderten 600 Delegierte, die eine halbe Million Frauen vertraten, im Berner Kursaal: «Keine Menschenrechtskonvention ohne Frauenrechte». Dasselbe forderten nachmittags rund 5000 Demonstrantinnen auf dem Bundesplatz.
Am Stimmrechtstag vom 7. Februar 1971 hatten erst 8 der 22 Stände ihre kantonalen Frauenrechte unter Dach und Fach, sodass der Ausgang der Abstimmung unsicher war. Selbst konservative Politiker meinten allerdings, es sei nun Zeit, mit dem «Gschtürm» aufzuhören und Ja zu sagen.
Helvetia musste sehr alt werden, doch 1971 bekamen die Frauen ihr Ja an der Urne. Kein mitleidig geschenktes Ja, sondern ein dornenvoll selbst erarbeitetes Ja. Gleichzeitigt erhielten die Schweizerinnen nicht nur eine eigenständige, auf sich selbst aufbauende Geschichte, sondern endlich auch eine erfolgreiche.
All den Frauen (und Männern), die sich 100 Jahre lang um das Frauenstimm- und Wahlrecht in der Schweiz bemüht haben, gebührt eine Huldigung: die Hommage 2021.
Literatur:
Rogger Franziska, Gebt den Schweizerinnen ihre Geschichte, Zürich 2015
Rogger Franziska, Wir werden auf das Stimmrecht hinarbeiten, NZZ 2021